Zu dem häufig vorgebrachten Argument, dass Noten in der Volksschule unbedingt gegeben werden müssten.
Die häufig vorgebrachte These, Noten seien dazu da, weil Kinder und Eltern sich das wünschten und sie dadurch auf einen Blick wüssten, woran es mangle, sowie die Behauptung, Noten würden die Schülerschaft motivieren, tolle Leistungen zu vollbringen, sind, wenn man sich die Fachliteratur darüber ansieht, nicht nur vorgeschobene Argumente, sondern zeugen auch vom unerbittlichen Kampf, wer dann in ein Gymnasium oder eine Mittelschule besuchen darf, von der Unwissenheit, dass Noten nicht viel über die verschiedenen Fähigkeiten und Fertigkeiten aussagen und von einer falsch verstandenen Vorstellung, warum und wie Kinder lernen, denn wenn ein Volksschulkind schon wegen der Noten lernt, dann ist eigentlich schon einiges schiefgelaufen.
Das Problem dabei ist auch, dass man den Kindern und Eltern damit nicht nur ein X für ein U vormacht, sondern auch das hunderte von Untersuchungen, die sich in Jahrzehnten angesammelt haben, unisono zu dem Ergebnis kommen: Um Aussagewert, Verlässlichkeit und Wissenschaftlichkeit der Noten ist es schlecht bestellt. Also, wer wohin darf, beruht auf sehr wackeligen Füßen, führt zu Ungerechtigkeiten, Druck der Elternschaft auf die VolksschullehrerInnen sowie Kinder und zu manch anderen sonderbaren und skurillen Entwicklungen. Leidtragende sind eigentlich alle, aber vor allem die vermeintlich schwächeren Kinder bzw. Eltern, die sich nicht wehren, über keine Seilschaften verfügen oder auch gar nicht mitbekommen, wenn ihr Kind benachteiligt wird.
Die Fragwürdigkeit der Noten liegen aber nicht nur darin, dass sie als Auslesekriterium nicht so objektiv sind, wie wir gerne glauben möchten oder es gerne hätten, weit schlimmer sind die Schäden, die Noten, sobald sie überbewertet werden, im Alltag der Schule anrichten: in der Seele der Schülerin/des Schülers, in der Einstellung der Lehrerin/des Lehrers, in der Beziehung der SchülerInnen untereinander, zur Lehrerin/zum Lehrer, zum Lernstoff und zum Lernen überhaupt.
Man muss da gar nicht an spektakuläre Extremfälle denken. Mit Schülerselbstmorden zu argumentieren, deren Ursache weit komplexer sind. Sehr viel häufiger, oft unauffällig, aber durchaus folgenschwer ist eine permanente Angst, die lähmt, in Mutlosigkeit und Resignation treibt. Sie gehört gewiss nicht zu dem, was Schule erreichen soll und will; sie tritt dennoch auf. Nicht minder schwerwiegend sind die Schäden, die dadurch entstehen, dass Schülerinnen/Schülern indirekt nahe gelegt wird, in der Mitschülerin/im Mitschüler den Konkurrenten zu sehen, dessen Erfolge die eigenen Fortkommenschancen schmälern: Rücksichtslos egoistisches Erfolgsstreben wird gefördert, soziale Tugenden wie Hilfsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit verkümmern.
Das ist alles inzwischen allgemein bekannt. Anderes ist weniger offenkundig. Betrachten wir zunächst das Verhältnis SchülerIn und LehrerIn. Die Lehrerschaft, die Helfer und Förderer der Kinder sein soll, es sein möchte und von der Schülerschaft auch so gesehen sein will, wird durch den Zwang zur Notengebung immer wieder in die Funktion des Richters/der Richterin gedrängt, vor dessen/deren Urteil man zittern muss. Dieser Rollenzwiespalt untergräbt das Vertrauen, die Grundlage allen pädagogischen Handelns, und bleibt auch auf das Selbstverständnis der Lehrerin/des Lehrers nicht ohne Rückwirkung; viele LehrerInnen leiden heute an ihm und vermutlich ebenso viele verdrängen ihn, um nicht an ihm zu zerbrechen.
Weiters wird häufig die anspornende Funktion der Note ins Spiel gebracht. Falls die Note diese anspornende Wirkung überhaupt hat – was sicher dann nicht zutrifft, wenn die negative Verstärkung der schlechten Note überwiegt -, so doch mit einem unerwünschten Nebeneffekt: Sie verlagert die Motivation vom Lernangebot auf die Note, also auf äußere Erfolgskriterien; gelernt wird nicht aus Interesse am Lernstoff, sondern in der Hoffnung auf Belohnung oder aus Angst vor Strafe.
Wir benützen die Noten wie ein ziemlich grobschlächtiges Instrument für ein ganzes Bündel diffiziler und höchst verschiedenartiger Aufgaben: Sie soll der Schülerin/dem Schüler Hinweis geben, wo er Fortschritte gemacht hat und wo er noch Schwierigkeiten hat; sie soll seine Eltern informieren; sie soll oder sollte doch auch der Lehrerin/dem Lehrer Aufschluss geben, wie gut er seine SchülerInnen fördern konnte und um welche von ihnen er sich noch besonders kümmern muss; und schließlich soll sie etwas darüber aussagen, ob jemand in ein Gymnasium oder eine Mittelschule gehen darf. Das alles ist kaum unter einen Hut zu bringen.
Und: Verglichen wird die Schülerin/der Schüler häufig im Klassenverband, d.h. sollte er/sie in eine leistungsstarke Klasse gehen, dann kann es schon einmal geschehen, dass er/sie schlechtere Noten erhält, als wäre er/sie in eine andere leistungsschwächere Klasse gegangen. Und: Hätte die Schülerin/der Schüler LehrerIn X, so hätte er möglicherweise ein „Sehr gut“ erhalten, leider war er/sie in der Klasse des/der LehrerIn Y, bei dem/bei der reichte es leider nur für ein „Befriedigend“.
Dies ist bei weitem kein vollständiger Katalog über die Problematik der Notengebung, sondern nur ein sehr knapp geraffter Hinweis auf Probleme, die die Notengebung mit sich bringt. Warum die Politik angesichts dieser schon längst bekannten Problemlage immer noch auf Noten in der Volksschule beharrt, ist nur so zu erklären, dass es rein um Klientelpolitik und Wählerstimmen geht. Traurig aber wahr!!!
Und die Lösung: Keine Noten mehr, wenn schon eine formative Leistungsbeurteilung, an der die Eltern erkennen können, woran noch gearbeitet werden muss bzw. worauf das Kind stolz sein kann…
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