von Mag.a Dr.in Gertrud Nagy
Der Beitrag für die Plattform „Quo vadis Schule Innsbruck“ geschrieben, basiert auf dem Buch „Können sie nicht oder wollen sie nicht. Zur Beteiligung marginalisierter Eltern an Schulpartnerschaft und Elternbildung“. (Nagy 2019, Innsalz)
Eltern sind ein zentraler Faktor für das Gelingen der kindlichen Entwicklung und für den Lernerfolg. Das ist von Vorteil für Kinder aus bildungsnahen Familien und von Nachteil für jene aus bildungsfernem Milieu. Der Zusammenhang zwischen den sozioökonomischen Merkmalen von Familien mit dem Schul- und Bildungserfolg verstärkt daher Bildungsungleichheiten zu Lasten von Kindern aus marginalisierten Familien, die gesellschaftlich am Rand leben.
Die Zusammenarbeit mit der Schule ist eine Möglichkeit, kompensatorisch und präventiv schulische Misserfolge zu vermeiden. Daher sind Erziehungsberechtigte durch das Schulunterrichtsgesetz zur schulpartnerschaftlichen Zusammenarbeit verpflichtet. Aus der Sicht der Erziehungswissenschaft profitieren vor allem Kinder aus sozioökonomisch schwachem Elternhaus: Der Austausch und die Beratung mit Lehrpersonen fördern die Vermittlung einer positiven Einstellung und Orientierung für das Lernen in der Familie und in der Schule.
Wie verläuft die Praxis der Schulpartnerschaft an Brennpunktschulen?
Ausgangspunkt sind die Beobachtungen zweier erfahrener Leiterinnen von Brennpunktschulen an der Sekundarstufe I (Wien und Berlin). An ihren Schulen werden ausschließlich Kinder mit sozioökonomisch schwachem familiärem Migrationshintergrund unterrichtet (Stand 2017/18).
Die Schulleiterinnen berichten übereinstimmend, dass Eltern auf der individuellen Ebene, bei der es um das einzelne Kind geht, schwer für die Zusammenarbeit zu erreichen sind. Obwohl beide Schulen plausibel nachvollziehbar um eine förderliche Willkommens- und Begegnungskultur für ihre spezifische Elternschaft bemüht sind, kommen die Eltern meist erst bei defizitorientierten Anlässen, wenn die Schulen dies mit Nachdruck einfordern.
Auch auf der institutionalisierten Ebene, bei der es sozusagen um das Wohl ganzer Klassen, Schulstufen und der Schule insgesamt geht, gelingt es an beiden Schulen nur unter großem Bemühen der Schulleitungen, Eltern für die Arbeit in schulpartnerschaftlichen Gremien zu rekrutieren.
Was macht Eltern an Brennpunktschulen schwer erreichbar?
Auf der individuellen Ebene der Schulpartnerschaft sehen die Schulleiterinnen das (gezeigte, nicht aber unbedingt faktische) Desinteresse an schulischen Belangen der Kinder als zentrale Barriere. Konkret angeführt werden überdies individuelle Hindernisse wie mangelnde Deutschkenntnisse, fehlendes Wissen zum Schulsystem sowie vom Herkunftsland übernommene kulturelle Erfahrungen und Einstellungen zur Rolle von Eltern und Schule. Auf der institutionalisierten Ebene wird das geringe Selbstvertrauen angesprochen und die Angst, sich zu blamieren.
Diese Beobachtungen entsprechen jenen aus der Fachliteratur, wo Hindernisse für die Zusammenarbeit nach schulstrukturellen, sozialen, familiären und individuellen Faktoren kategorisiert werden. Ich beschränke mich hier auf die Bedeutung der individuellen Faktoren, die insbesondere mit den sozialen verknüpft sind. Denn wer in einer prekären Lebenslage ist – und meist selbst als Kind in einer prekären Lebenslage sozialisiert wurde -, hat mit zahlreichen individuellen Barrieren für den Kontakt mit der Schule zu kämpfen: Geringe Überzeugung von Selbstwirksamkeit, Befürchtung von Schuldzuweisungen, Scham und Minderwertigkeitsgefühle, Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen wie der Schule, aber auch unzureichende Kompetenzen in der Kommunikation, unzureichende Kenntnisse der deutschen Sprache und Unwissen über das Schulsystem.
Für Eltern an Brennpunktschulen ist anzunehmen, dass es auch schulsystembedingte Auslöser für Gefühle der sozialen Scham und der Minderwertigkeit gibt: Sie wissen, dass es ausschließlich ihre Kinder sind, die im urbanen Raum eine öffentliche Hauptschulform besuchen, ob sie nun Neue Mittelschule (Wien) oder Gemeinschaftsschule (Berlin) heißt. Diese Erfahrung ist eine von vielen sozialen Herabsetzungen, die kaum zum elterlichen Vertrauen in ihre Selbstwirksamkeit beiträgt.
Wie sich Eltern gegenüber der Schule verhalten, ist daher auch soziologisch erklärbar aus ihrer gesellschaftlichen Position: Eltern an Brennpunktschulen sind am Rande der Gesellschaft positioniert, was zum Vermeidungsverhalten gegenüber der Institution Schule beiträgt. Sie wollen daher nicht mit der Schule zusammenarbeiten, weil sie es nicht können. Oder viceversa …
Ist Elternbildung ein Instrument zur Stärkung der Eltern?
Auch Schulen brauchen in ihrer spezifischen Lage als Brennpunktschulen mehr als andere Unterstützung und Stärkung zur Bewältigung ihrer großen Herausforderungen, zu denen die schwere Erreichbarkeit ihrer Schulpartner zählt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ich beschränke mich hier auf Überlegungen zur Stärkung der Eltern in der familiären Erziehungsarbeit und in der Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen. Ein möglicher Ansatz ist die Elternbildung als eine Variante der Erwachsenenbildung. Sie bietet grundsätzlich allen Eltern die Möglichkeit, sich Kompetenz, Wissen und Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten anzueignen oder zu erweitern.
Zu diesem Bereich zeigt die Familienforschung, dass sozioökonomisch schwache Eltern für Elternbildung noch weniger erreichbar sind als für die Zusammenarbeit mit der Schule. Ein spezifisches Hindernis ist die Assoziation von Elternbildung oder Elternschule mit eigenen negativen Erfahrungen aus der Schulzeit.
Wo und wie also ansetzen, um dennoch diese spezifische Elterngruppe zu erreichen?
Eine Chance liegt im Wunsch fast aller Eltern, dass sich ihr Kind gut entwickelt und in der Schule Erfolg hat. Was zur Motivation für eigene Weiterbildung werden kann, basiert auf zwei möglichen Erkenntnissen: Das Wissen um die eigene Bedeutung als Erfolgsfaktor für die gedeihliche Entwicklung des Kindes sowie die Tatsache, dass die Weichen dafür bereits vor Schuleintritt gestellt werden: Was bis zur Einschulung an Förderung der sprachlichen, kognitiven, allgemeinen, emotionalen, sozialen und motivationalen Kompetenzen versäumt wird, lässt sich selbst bei intensivem Training später nur bedingt nachholen.
Die Empfehlung der Entwicklungspsychologie lautet daher, mit der Elternbildung bei der frühkindlichen Entwicklung anzusetzen. Das ist leichter gesagt als getan, weil die Kluft zwischen Präventionsbedarf und Nutzung von Präventionsangeboten groß ist: Eltern, die am meisten davon profitieren könnten, sind freiwillig nicht erreichbar. Eine von manchen Seiten daher vorgeschlagene verpflichtende, mit Sanktionen verbundene Elternbildung, ist aber kontraproduktiv für die Bereitschaft zur Weiterbildung.
Welche Strategien zur Förderung der Erreichbarkeit bieten sich alternativ an?
Mein Vorschlag lautet Gratifikation statt allfälliger Sanktion, durch Erweiterung des (österreichischen) Mutter-Kind-Passes zu einem „Eltern-Kind-Pass“, in dem Nachweise der Kontrollen zur frühkindlichen Entwicklung durch Nachweise der Teilnahme an Modulen der Elternbildung ergänzt werden:
Analog zum Bonus-System des Mutter-Kind-Passes bis 2002 (Geldbetrag abhängig von der Beitragsgrundlage zur Sozialversicherung) wird ein Geldbetrag für Eltern in finanziell prekärer Lage zum extrinsisch motivierten Anreiz.Der Eltern-Kind-Pass wird, wie der Mutter-Kind-Pass, an alle werdenden bzw. jungen Eltern ausgegeben. Es kommt daher weder zu Diskriminierung oder Stigmatisierung als marginalisierte Eltern.Die Teilnahme an Modulen der Elternbildung zur kindlichen Entwicklung ist freiwillig, weil es keine Sanktionen bei fehlendem Nachweis im Eltern-Kind-Pass gibt.
Dieser Vorschlag soll zur Diskussion und zu weiteren Ideen darüber anregen, wie sozioökonomisch schwache Eltern zum Wohle ihrer Kinder gestärkt werden können. Denn eines der Rädchen, an denen gedreht werden muss, um Bildungsungleichheit zu verringern, ist die Verbesserung ihrer Ausgangslage für eine entwicklungsförderliche familiäre Erziehungsarbeit und für eine schulpartnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Schule.