Archiv der Kategorie: Innsbrucker Schulgschichtn

Und wie geht es eigentlich jenen in unseren Schulen, die wirklich benachteiligt werden?

Sehr geehrter Herr Astner!

Was ich ihnen hier schreibe, ist eigentlich keine besonders dramatische Geschichte, aber sie hat mich recht nachdenklich gestimmt und persönlich natürlich betroffen gemacht. Es gibt jedenfalls weitaus drastischere Schulgeschichten, und es lässt sich aus dieser Geschichte, die wir vor zwei Jahren erlebt haben, auch nicht viel über den Gesamtzustand unseres Schulsystems ableiten, aber es lässt auch, meines Erachtens jedenfalls, kein gutes Bild unserer Schulen erahnen.

Am Dienstag, den 19. November 2019, läutete vormittags mein Handy. Unsere Tochter verbrachte gerade mal die ca. 10 Woche ihres noch so jungen Lebens in der Schule.  Meine Frau rief mich an. Ich wusste gleich, dass ein Anruf meiner Gattin am Vormittag nichts Gutes bedeuten konnte. Sie war sehr aufgeregt. Sie teilte mir mit, dass sie gerade ein sonderbares Gespräch mit der Direktorin der Volksschule meiner Tochter hatte. Diese habe ihr am Telefon mitgeteilt, dass der erste Elternsprechtag nicht um 17.30 Uhr, sondern um 17.00 Uhr stattfinden würde und es gut wäre, wenn wir kämen, da sie und die Lehrerinnen meiner Tochter es für gut hielten, wenn unsere Tochter zurückgestuft werden würde. Spontan fragte ich meine Frau, ob sie sich schon vergewissert hätte, ob die Direktorin unsere Tochter nicht mit einem anderen Kind verwechseln würde, denn in keiner Phase der Entwicklung unserer Tochter hatten wir das Gefühl, dass es ihr an Fähigkeiten und Fertigkeiten mangle, die sie nicht dazu befähigen würde die erste Klasse Volksschule zu bewältigen. Sie gab mir zu verstehen, dass es sich um keinen Irrtum handle. Auf meine Frage, was die Beteiligten dazu veranlasse, unser Kind nicht weiter in der 1. Klasse unterrichten zu wollen, meinte meine Frau, die Direktorin habe ihr gesagt, unser Kind sei zu brav. Im ersten Moment war ich stolz auf meine Tochter. Wer hat es nicht gerne, wenn sein Kind in der Schule als brav gilt. Was sie aber eigentlich meinte war natürlich, dass sie ihren Erwartungen nicht entspreche.

Schon bald überkamen uns Gewissensbisse, Schuldgefühle. Vielleicht hätten wir doch im der embryonalen Phase unserer Tochter eine Frühförderung in Anspruch nehmen sollen oder ihr aber während ihrer Kindergartenzeit uns weniger um ihre emotionale, motorische und soziale Entwicklung kümmern sollen und stattdessen ihr das Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen sollen, damit sie gleich schon mit den von überehrgeizigen Eltern gedrillten Kindern mithalten hätte können.

Einige Monate später, unsere Tochter durfte nach nervenaufreibenden Interventionen, skurrilen Begebenheiten und einer nicht gelungenen Kommunikation die Schule wechseln, stellte ich mir jedoch die wirklich wichtigen Fragen in diesem Zusammenhang: Liegt unserer Erfahrung, die wir gemacht haben, eine systemische Problematik zugrunde oder ist dies nur unsere Geschichte. Und ich dachte mir: Was ist eigentlich mit jenen Familien, die sich in unserem Schulsystem nicht so gut auskennen, die der Sprache nicht mächtig sind, die den Irritationen nicht nachgehen, die weder die finanziellen Mittel oder Seilschaften haben, um ihren Kindern zu helfen, die aus ihrer Autoritätsgläubigkeit heraus, nicht in Betracht ziehen, dass es auch unvermögende, unwissende, unreife LehrerInnen gibt, was ist mit den Eltern, die sich nicht zur Wehr setzen vermögen und wie geht es jenen mit unserem Schulsystem, die ein Kind mit Behinderung Zuhause haben.

Ich begann also zu recherchieren. Und was ich herausfand, überstieg meine schlimmsten Befürchtungen. Was ich fand, waren reihenweise Baustellen in unserem Schulsystem, die dazu führen, dass wir kein gerechtes, zukunftsorientiertes Schulsystem haben: Von der Wirkmacht der Noten, vor allem in der Volksschule, über den Druck der Eltern auf die Lehrerinnen und Lehrer, damit ein entsprechendes Zeugnis zustande kommt, der bewussten Selektionierung jener Kinder, die ohnehin schon benachteiligt sind, vom übertriebenen Leistungsdruck und Konkurrenzkampf, der in den Schulen herrscht, von jenen Kräften, die sich ein Schulsystem für ihresgleichen gebastelt haben, damit sie einen Vorteil haben usw. usw. Ich könnte die Liste fortsetzen, tue ich aber nicht.

Vater eines 8-jährigen Mädchens

Möchte namentlich nicht genannt werden

Name der Redaktion bekannt

Ein Insider/Eine Insiderin BerichteT

Unlängst habe ich ein recht interessantes Gespräch mit einem Insider/einer Insiderin geführt, der/die 5 Jahre lang in einer Schule in Innsbruck gearbeitet hat, nicht mehr in diesem System involviert ist und daher, vermute ich, befreiter darüber sprechen kann.

Da es seine/ihre subjektive Wahrnehmung ist und jene Schule betrifft, in der er/sie war, können natürlich keine großartigen Schlüsse auf die allgemeine Schulsituation in Innsbruck gezogen werden, aber es stimmt auch so nachdenklich, nicht bezogen auf die Schule, sondern in Bezug auf unser System.

Ich habe es für ihn/sie zusammengefasst:


  *   Diese Schule hat einen hohen Anteil an Schülern und Schülerinnen muslimischen Hintergrunds und einen hohen Anteil an Kindern, die aus belasteten Familien (Armut, Gewalt…) stammen.
  *   Sehr viele LehrerInnen sind desillusioniert, haben aufgegeben, gehen in der Früh ins Gebäude, um ihren Broterwerb nachzugehen, und machen sich dann, so schnell wie möglich, nach Unterrichtsschluss auf den Weg nach Hause…
  *   Die Schule ist mehr eine Aufbewahrungsstätte für die Kinder als ein Ort des Lernens. Ein Unterricht im üblichen Sinn ist nicht möglich.
  *   Die Eltern sind äußerst unkritisch gegenüber dem, was dort geschieht. Dass sich Eltern an die Schule in schulischen, sozialen… Belange wenden, kommt kaum vor. Es fehlt also an der Kontrolle von außen und auch an einer sinnvollen Zusammenarbeit mit der Elternschaft.

 *   Die LehrerInnen sind damit beschäftigt, die Kinder im Zaum zu halten, viele LehrerInnen machen sich kaum Gedanken über die Zukunft dieser Kinder und deren Ausbildung.
  *   Vereinzelte Versuche von engagierten Lehrern und Lehrerinnen gehen unter, werden als energieraubend wahrgenommen. Da die Chancen der Kinder auf ein besseres Leben ohnehin nicht sehr groß sind, wäre das Zeitverschwendung.
  *   Der Umgang mit den Kindern ist recht roh, autoritär…, das kennen sie aus ihren Familien, das verstehen die Kinder, das ist die Sprache, die viele von ihnen von Zuhause gewohnt sind. Es herrscht kein respektvoller noch achtsamer Umgang miteinander. Immer wieder wird von LehrerInnenseite weggeschaut.
  *   An einer Entwicklung der Schule haben nur die wenigsten LehrerInnen Interesse, da sie das Gefühl haben, dass es ohnehin nichts nutze, sie fühlen sich allein gelassen und selbst als VerliererInnen dieses Systems.
  *   Die Vorstellung herrscht vor, dass die SchülerInnen ohnehin kaum Perspektiven für danach haben und wahrscheinlich sich nicht aus ihrer Herkunft befreien können bzw. am Arbeitsmarkt einer Niedriglohnarbeit nachgehen werden. Dies führt auch dazu, dass keine Anstrengungen unternommen werden, sie schulisch so auszubilden, dass ihnen Werkzeuge mitgegeben werden, um sich aus dieser Situation befreien zu können.

  *   Nach außen hin wird ein etwas anderes Bild der Schule gezeichnet, um überlebensfähig zu bleiben. Das gezeichnete Bild stimmt jedoch nicht mit der Realität überein. Da auch Arbeitsplätze für LehrerInnen damit einhergehen, ist die Schule daran interessiert, dass niemand ein objektiveres Bild erfährt, vielleicht erfolgt auch daher kein Aufschrei der Lehrerschaft.
  *   Die Idee, die Schule durch Schwerpunktsetzungen zu stärken, scheitert, da diejenigen, die man dringend bräuchte, sich nicht für diese Schule entscheiden. Kein Elternteil, der sein Kind gut aufgehoben, gefördert… wissen möchte, entscheidet sich freiwillig bzw. unfreiwillig für diese Schule. Teils auch deswegen, (leider), weil man nichts mit dem „Pöbel“ und Menschen mit „muslimischen“ Hintergrund… zu tun haben möchte bzw. weil man (verständlicherweise!?) „kein reiches, weißes, behütetes Kind gerne alleine in die Bronx schickt“.


PS: Betont werden sollte, dass weder die Lehrerschaft noch der Direktor/die Direktorin und die Eltern, die Schuld daran haben, dass es so ist, wie es ist, wenn es so ist. Wir haben in Österreich dieses System geschaffen, wir haben alle Anteil daran, dass es solche Schulen im städtischen Raum gibt.

Nur wenn die Herausforderungen von vielen angegangen werden, kann dieses System durchbrochen werden. Eine Schule alleine, ein paar LehrerInnen alleine, ein paar Direktorinnen und Direktoren alleine… können dieses systemisches Versagen nicht alleine schultern und für dieses Versagen auch noch geradestehen.

In der falschen Schule!?

Simona geht vielleicht in die falsche Schule. In ihrem Klassenzimmer befinden sich insgesamt 28 SchülerInnen. Viel zu viele. Das Tempo in diesem Innsbrucker Gymnasium ist entsprechend der Schulart für Simone zu hoch, auch den Anforderungen ist sie nicht ganz gewachsen. Simona hat Teilleistungsschwächen und es mangelt ihr an Selbständigkeit und Selbstbewusstsein. Sie sitzt wie eine graue Maus hinter der Bank, fragt selten nach und zeigt wenig auf.  

Leider können die LehrerInnen auf Simona wenig Rücksicht nehmen. Ein für sie und inzwischen doch einigen anderen ähnlichen Schülerinnen und Schülern angepasster Unterricht ist an einem Gymnasium nicht Standard, man orientiert sich an den Stärkeren, es gibt wenig Fördermöglichkeiten an der Schule und Simone fällt leistungsmäßig im Vergleich zu den anderen doch erheblich ab. 

Die Noten sind daher entsprechend im Keller, der Leidensdruck wächst, das Kind zweifelt immer mehr an sich und die Konflikte zwischen ihren Eltern und der Lehrerschaft, vor allem jenen, die eine traditionelle gymnasiale Einstellung haben, wachsen.  

Fragen tauchen auf: Wie gelangte Simona in ein Gymnasium? Wäre eine Mittelschule nicht der bessere Weg gewesen, schon aufgrund der geringeren Anzahl an Kindern in der Klasse, der besseren Fördermöglichkeiten, der langjährigen Erfahrung mit vermeintlich leistungsmäßig „schwächeren Kindern“ … 

PS: Eigentlich müsste Simona in eine „gemeinsame/ganztägige Schule“ gehen, aber die gibt es ja in Österreich bekanntlich nicht. Also in eine Schule, in der maximal 20 Kinder pro Klasse sind, in der Methodenvielfalt, Binnendifferenzierung und individualisiertes Lernen stattfindet. In der eine andere Einstellung der Lehrenden vorhanden ist, in der vermehrt Diagnostik durchgeführt wird, differenzierte Unterrichtsmaterialien vorhanden sind, kooperative Lernformen an der Tagesordnung stehen, zusätzliche Fördermaßnahmen angeboten werden, vorbereitete Räume zu finden sind, ein multiprofessionelles Team zusammenarbeitet und kooperiert und, und, und… Also in eine Schule, die versucht, allen Innsbrucker Kindern gerecht zu werden. 

Staatlicher Eingriff in die Biographie eines Menschen oder Zeugnis ist nicht gleich Zeugnis

Melinda, sie wächst mehrsprachig auf, und Thomas, er ist der Sohn zweier waschechter österreichischer Akademiker, sowie Matteo und Emine kommen im nächsten Schuljahr in ein Gymnasium, Achmed in eine Mittelschule. Susannes Eltern hätten gerne ihr Kind in jenem Gymnasium gesehen, dessen Konzept sie sich für ihre Tochter gewünscht hätten. Leider wird ihr Wunsch nicht in Erfüllung gehen. Ihre Tochter hat im Fach Deutsch „nur“ ein Gut im Volksschulzeugnis. Da dieses Gymnasium mehr Anmeldungen als Plätze hat, genügt dieses tolle Zeugnis leider nicht zur Aufnahme. Der Wunsch von Thomas Eltern dagegen wird in Erfüllung gehen, auch wenn ihr Sohn ebenso ein „Gut“ im Zeugnis hat. Sie haben ihren Sohn in ein anderes Gymnasium angemeldet, welches einen medialen Schwerpunkt hat, was seinen Eltern als äußerst zukunftsträchtig erscheint. Matteos Eltern wollen ebenso, dass ihr Sohn in das Wunschgymnasium von Susannes Eltern kommt, was so sein wird. Er hat alles „Sehr gut“, obwohl seine Leistungen in Deutsch keineswegs so toll sind, wie dessen Note vermuten lässt. Susanne hatte jedoch eine Lehrerin, die es mit der Notenwahrheit recht genau genommen hat, während Matteos Lehrerin nachsichtiger war und nicht so viel von ihren Schülerinnen und Schülern verlangt hat. Ahmed wurde als nicht gymnasialreif eingestuft, er hatte dieselbe Lehrerin wie Susanne, Emine dagegen kommt in ein Gymnasium, sie hatte dieselbe Lehrerin wie Matteo. 

5 Kinder, 5 unterschiedliche Weggabelungen. Was wäre gewesen, wenn… 

Fragen, die sich mir immer stelle, wenn ich eine neue erste Klasse in Deutsch erhalte. Warum haben die Eltern von X unsere Schule gewählt, wenn sie doch bei jeder Gelegenheit unser Konzept in Frage stellen. Wie kann es sein, dass Y dieselbe Note in Deutsch hatte wie Z. Warum durfte L nicht in unserer Schule aufgenommen werden, obwohl er in Deutsch, meiner Meinung nach, sich kein Gut, sondern ein Sehr gut in der Volksschule verdient hätte und seine Eltern sich dies so sehr gewünscht haben, dass ihr Sohn zu uns kommt, weil sie das Konzept unserer Schule so unterstützen. Und, und, und… 

Aber vielleicht sind diese Fragen ja gar nicht so wichtig. Vielleicht ist ja unser Schicksal, wie manche glauben, ohnehin vorbestimmt. Oder aber vielleicht ist die Kraft des Einzelnen so groß, dass es ohnehin gleich ist, in welche Schule er kommt. Oder aber steht ja ohnehin jedem auch nach der Unterstufe jeder Weg offen, wie ich immer wieder lese und höre… 

Was ist aber, wenn der staatliche Eingriff in eine Biographie dazu führt, dass wir nicht alle die gleichen Chancen haben, wenn ein Zeugnis doch größere Auswirkungen hat auf unser Leben, auf unsere Zukunft…

Markus Astner

Thomas und das leidige Thema: In welche schule kommt mein kind?

Thomas wird demnächst in eine Innsbrucker Volksschule kommen. Seine Eltern machen sich große Sorgen: Er ist entwicklungsverzögert. Über die Schule, in die er kommt, hört man unter der Elternschaft nichts Gutes. „Stimmt das überhaupt?“, fragen sich die Eltern. „Hängt das nicht auch von der Lehrerin/vom Lehrer ab, den er erhalten wird? Wie werden sie in der Schule mit seinem Handicap umgehen? Werden sie geduldig sein? Werden sie ihm Zeit lassen? Ihn fördern und auf ihn eingehen? Und was wird nach der 4. Klasse Volksschule sein?“ Viele Fragen, die sich die besorgten Eltern stellen.

Sie gehen ihren Fragen nach. Ihre Zweifel werden immer größer und größer. Verstärkt durch den Sprengelschutz, die Schule lässt keinen Schulwechsel zu, wird die Situation für die Erziehungsberechtigten fast unerträglich. Was sollen sie tun? Ihn an einer anderen Wohnadresse anmelden? Aber solche Überlegunen möchten sie eigentlich gar nicht anstellen. Das kommt ihnen falsch vor. Auch die Bildungsdirektion ist ihnen dabei keine große Hilfe. Kann sie wahrscheinlich auch gar nicht sein.

Für viele, zum Glück, stellt sich dieses Dilemma gar nicht. Für die einen deshalb nicht, weil ihr Kind ohnehin in eine Schule ihres Vertrauens kommt. Für die anderen nicht, weil sie sich mit dem Bildungsweg ihrer Kinder nicht im Geringsten auseinandersetzen.

Dabei könnte es für Thomas und seine Eltern, aber auch andere Familien, die aus verschiedensten Gründen in einer ähnlichen Situation sind, recht einfach sein:

– Schulen müssten nur, unabhängig vom Sprengel, so qualitätsvoll sein, dass Eltern gar nicht die Befürchtung haben müssen, dass ihr Kind dort nicht gut begleitet wird.

– Schulen mit besonderen Herausforderungen, in die niemand gerne sein Kind schicken würde, müssten einfach nur abgeschafft werden. Die Herausforderungen auf alle Schulen verteilt werden.

– Auf die Notengebung in der Volksschule müsste einfach verzichtet werden. Sie dient vorwiegend der Selektionierung, tut den Kindern/Lehrerinnen und Lehrern sowie unserer Gesellschaft nicht gut.

– Und die Rahmenbedingungen sind so zu gestalten, dass eine Schule die ihnen anvertrauten Kinder so gut begleiten kann, dass alle davon profitieren.

Was hindert uns daran??? Wir sind im 21. Jahrhundert!!!