Wie Inklusion gelingen kann, wenn es „menschelt“…

Zur Verfügung gestellt von Wolfgang Begus, Obmann des Vereins „Integration Tirol“ (https://www.integration-tirol.at/)

Ein Kind mit autistischer Wahrnehmung wird immer „schlimmer“ in der Schule und Situationen eskalieren immer wieder. In persönlichen Gesprächen stellt sich dann heraus, dass der Klassenlehrer (ist auch Direktor) Mobbing zulässt und teilweise auch daran teilnimmt. Das Kind wird als „komisch“ und „blöd“ wahrgenommen. Ein Störfaktor in der Klasse…
Laut Klassenlehrer wird nie was aus dem Kind werden und es soll in eine Sonderschule…

Letztlich war die Volksschulzeit voller „Missverständnisse“: Der Lehrer hat nie wirklich hingeschaut und das Kind nie wirklich wahrgenommen. Das Kind hat ihn gestört, weil es anders war und seiner vorgefertigten Meinung nicht entsprochen hat. Und das Kind hat – wie die ganze Familie – sehr darunter gelitten.

Probleme entstehen so gut wie nie durch das „Anderssein“, sondern immer durch das Ignorieren und nicht wahrhaben wollen von Menschen, die anders denken, fühlen, aussehen… Also aus Mangel an Respekt und einem Mangel an der eigenen Flexibilität

Die entnervten Eltern suchten also eine neue Schule und ausgerechnet ein Gymnasium hat das Kind dann gerne aufgenommen. Die Direktorin war gerne bereit dazu und die Lehrerschaft stand großteils hinter der Entscheidung! „Wir wollen dazulernen“ war der Vorsatz….
Umdenken und mal neue Wege gehen…

Eine ganz tolle Klassenvorständin hat das Kind letztlich ins Herz geschlossen und eine erfahrene Schulassistentin wurde hinzugezogen. Um das finanzierbar zu machen, mussten der Verein „Integration Tirol“ eine Schlichtung anstreben und zwei Mal nach Wien fahren, um das Bildungsministerium zu überzeugen, dass die bestehenden Richtlinien für Schulassistenz an Bundesschulen diskriminierend und nicht zielführend sind. Da ist den Eltern und der Schule in Zusammenarbeit mit dem Verein gelungen!
Lösungen werden immer von beteiligten Menschen ermöglicht, deren Haltung, deren Menschenbild…

Am Ende erhielt das Kind Assistenz für die Schulzeit und für den Schulweg! Und das erstmals in Österreich trotz nicht „ausreichender Pflegestufe“. Und die Schuldirektorin war wirklich stolz, was uns da in guter Zusammenarbeit aller gelungen ist. Es war schön zu lesen, dass sich ausgerechnet eine Direktorin eines Gymnasiums so stark für ein Schulkind mit einer anderen Denk- und Wahrnehmungsweise einsetzt und auf diese Art auch für ihre gute Schule kämpft! Und einige Lehrpersonen (vor allem die Klassenvorständin) haben super mitgewirkt!
Solidarität und nochmals Solidarität! Und Verantwortung übernehmen!

Als Abrechnungsprobleme mit dem für die Assistenz zuständigen Dienstleister auftraten, hat sich die Stiefmutter erfolgreich um einen neuen Abrechnungspartner bemüht – und einen gefunden, der auch vom Ministerium anerkannt wurde.

Niemand kann der Politik genauer sagen, was es braucht, als Eltern und Betroffenen.

Und es kam noch besser: Die Klasse plante eine Sprachreise nach London und wollte niemanden daheim lassen. Also wurde auch das möglich gemacht! Das erste Kind ohne hohe Pflegestufe, das Assistenz für eine Auslandsreise erhalten hat… und es war letztlich eine tolle und unproblematische Zeit, auch wenn die Vorbereitungen mit Kampf, vielen Gesprächen und Überzeugungsarbeit zu tun hatten. Am Ende war alles gut.
Es ist immer noch beschämend, dass bei fast allen Problemlösungen das Kindeswohl gegen politische und bürokratische Eigentümlichkeiten antreten muss.

Allerdings ist es leider bis heute so, dass die Eltern die Kosten für die Assistenz bei Klassenfahrten, Schulausflüge, Exkursionen, etc. selbst tragen müssen und damit zumindest das Doppelte – zuzüglich der Gehaltskosten für die Assistenz – von dem bezahlen müssen, wie Eltern von Kindern ohne Assistenzbedarf.
Und immer wieder droht es an den Finanzen zu scheitern.

Das Kind – mittlerweile eine junge erwachsene Person – ist ganz lange schon ein voll akzeptiertes und gleichwertiges Mitglied der Klassengemeinschaft. Es ist respektiert und wahrgenommen. Samt den Denkunterschieden und trotz der unterschiedlichen sozialen Wahrnehmungsfähigkeiten ist vollkommen klar, dass Menschen zwar in ihrer Art unterschiedlich sind, aber alle einen passenden Platz in der Gemeinschaft haben müssen!
Menschen, die über den Tellerrand blicken, die Kinder in ihrer Einzigartigkeit wahrnehmen sind das Fundament einer guten Schule. Nicht Homogenität, sondern Heterogenität bringt uns weiter.

Die Prophezeiung, dass nur eine Sonderschule, oder gar keine Schule das Beste wäre, hat sich nicht bewahrheitet! Heuer ist das Jahr der Maturvorbereitung und anschließend (niemand zweifelt daran!) wird wohl ein Studium folgen… Und die Klassenvorständin bedauert heute schon, dass diese gemeinsame Zeit bald enden wird. Es sind für alle ganz wichtige und schöne Beziehungen entstanden, die man vielleicht nicht als „klassische Beziehungen“ bezeichnen kann, aber die alle Beteiligten bereichert und verändert haben. Die Familie, die Lehrpersonen, die Mitschüler, uns von Integration Tirol und sogar auch die beteiligten Personen im Landesschulrat.
Was so alles gelingen kann, wenn nur alle wollten!

Auch wenn die Geschichte anonymisiert ist, sie ist wahr und schön! Es musste viel erkämpft werden, aber es ist alles gelungen. Und der Jurist im Landesschulrat, der bei der ersten Schlichtung noch eher ablehnend und sehr zurückhaltend war, hat sehr spontan und gerne für das Maturajahr eine kleine, aber hilfreiche zusätzliche Unterstützung befürwortet… in diesem Fall wurde aus Skepsis wohlwollende Überzeugung.

Allerdings muss man dazusagen, dass die Bezirkshauptmannschaft, bzw. die Sozialabteilung bei jedem Problem ihr Unterstützungsangebot auf eine weitere Therapie beschränkt hat. Obwohl lange schon klar war, dass die betroffene Person lange schon weitere Therapien ablehnt, sich selbst als „therapieresistent“ betrachtet und sich ganz andere Unterstützungen gewünscht hat. Auch der soziale Dienstleister hat sich bis zum letzten Jahr aus der gesamten eher zurückgehalten und die Unterstützung dem Helfer vor Ort überlassen. Beide – Dienstleister wie auch die Sozialabteilung – sind da an ihrer mangelnden Flexibilität immer wieder mal gescheitert.

Wenn irgendwelche Problem mit Kindern auftauchen, wird immer noch viel zu oft auf eine Therapie verwiesen. Es lässt sich nicht jedes Kind an den Mainstream hin therapieren. Für eine echte Teilhabe braucht es nicht immer nur eine Therapie, sondern vermehrt Angebote und Unterstüzung zu einer wirklichen Teilhabe.