Schulen mit besonderen Herausforderungen
Auf sozial benachteilige Kindern Rücksicht nehmen, heißt nicht, sie mit Almosen abzuspeisen, ihnen vorzumachen, dass jeder auch einmal Millionär werden kann, wenn er sich nur anstrengt und sie in Schulen zu separieren unter fadenscheinigen Vorwänden.
Auf benachteiligte Kinder Rücksicht nehmen, heißt, ihnen Achtung, Respekt, Einfühlungsvermögen und Verständnis für ihre Situation entgegenzubringen, Hilfe zur Selbsthilfe bieten, damit sie einmal aus dem Kreislauf ausbrechen können, sie in unterschiedlichen Belangen durch ein Unterstützungspersonal zu stärken und ihnen die gleichen Chancen zu ermöglichen wie auch allen anderen Kindern und sie mit diesen auch in eine gemeinsame Schule gehen zu lassen.
Auf benachteiligte Kinder Rücksicht nehmen, heißt, gegen die Entstehung und Beibehaltung von Brennpunktschulen einzutreten, denn eigentlich ist es eine Zumutung, auch wenn man diesen Schulen noch so viel Unterstützung wie möglich anbietet, wenn das überhaupt der Fall ist. Und es ist nicht nur eine Zumutung gegenüber den Kindern, sondern auch gegenüber jenen, die dort mit viel Engagement arbeiten.
Wie es den Lehrerinnen und Lehrern dort möglicherweise ergeht, wie die Situation vielleicht derzeit ist, gibt uns ein kurzer Einblick in ein Interview, welches Sabine Helmberger, eine Lehrerin aus Salzburg, mit Natalie Hangöbl, ebenfalls Lehrerin, und zwar an einer Salzburger Brennpunktschule in Salzburg, geführt hat. Veröffentlicht wurde es in der Zeitschrift „Kreidekreis“, der Zeitung der unabhängigen österreichischen Lehrer*inneninitiative.
PS: Auch in Innsbruck haben wir eine ähnliche Situation wie in Salzburg, auch bei uns gibt es Schulen mit besonderen Herausforderungen, die durch eine verfehlte Bildungs- und Wohnungspolitik sowie den Ausgrenzungstendenzen unserer Gesellschaft benachteiligt werden.
Mag. Markus Astner
Natalie, du bist seit sieben Jahren Lehrerin an einer Salzburger Brennpunktschule. Viel ist die Rede davon, dass Corona jene Schulen unter ein Brennglas gerückt hat. Wie siehst du das?
Tja, daran besteht kein Zweifel. Und es stimmt, unsere Schule besuchen vor allem jene Kinder, die sonst nirgends unterkommen. Aber dieser großen Empörung aktuell kann ich wenig abgewinnen, fast finde ich sie zynisch. Unsere Schule war bereits vorher trauriger Beweis einer verfehlten Bildungs- wie Wohnpolitik. Daran ist nichts neu.
Wie ist es den Kindern deiner Schule während der Schulschließungen ergangen?
Wichtig war, dass wir die Kinder zur Betreuung in die Schule holen konnten. Manche hätten wir sonst komplett verloren. Die Älteren waren zum Teil sehr versiert, was technische Dinge oder Organisation angeht. Außerdem möchten sie ein gutes Abschlusszeugnis, was die Motivation steigert. Meine Klasse, eine erste, hingegen verbrachte bereits einen Großteil der letzten Volksschulklasse im Lockdown. Dazu kam der Schulumstieg mit einem vollkommen neuen Umfeld und gerade am Anfang scheiterten viele an ganz basalen Dingen: „Habe ich meine richtigen Sachen dabei?“, „Wo finde ich die Übungen?“ Wir wissen, wie der Alltag in manchen Familien aussieht, der das Lernen zuhause zusätzlich erschwert; viele Kinder, wenig Platz, schlechte Ausstattung, begrenztes WLAN. Dazu kommt eine andere Schulkultur.
Kannst du diesen Gedanken der Schulkultur etwas näher ausführen?
In Österreich gibt es den Wunsch ans Schulsystem, dass Kinder um 13 Uhr nachhause kommen, am Nachmittag selbstständig weiterarbeiten, die Eltern unterstützend begleiten. Zudem soll auch Freiraum für Freizeitaktivitäten, Familienleben etc. bleiben. Die Voraussetzungen, mit denen wir vor Ort konfrontiert sind, sind aber komplett andere. Bei vielen unserer Kinder passiert zuhause nichts. Die Schultasche wird nicht aufgemacht, niemand fragt „Hast du Hausübungen?“ Diese unterschiedlichen Ausprägungen werden in der Diskussion um die Ganztagsschule offensichtlich und haben sich während der Pandemie zugespitzt. Schule hat zuhause keinen Raum.
Du hast im Vorfeld erwähnt, wie schwierig es war, nicht nur die Kinder, sondern überhaupt die Eltern zu erreichen…
Die Eltern an Bord zu holen ist zum Wohl des Kindes das Um und Auf. Die Kommunikation war bereits vor Corona schwierig, nun wurde sie fast verunmöglicht. Dabei war das primäre Problem nicht die mangelnde Bereitschaft der Eltern, sondern die Sprachbarriere und andere Gründe. Es ist nur unter großen Mühen möglich, Dolmetscher*innen anzufordern, die das oft eher hobbymäßig betreiben. Von oberer Stelle werden Infos oft nur auf Türkisch oder Serbokroatisch ausgegeben, während wir sie in Arabisch, Farsi/Dari, Somali oder Albanisch bräuchten. Das Bewusstsein für das Problem ist nur minimal da, aber zumindest erhielten wir die Einverständniserklärungen zu den „Nasenbohrer-Tests“ in 12 Sprachen.
Welche Unterstützungsmaßnahmen gibt es an der Schule?
Dank der Bemühungen der Schulleitung hatten wir als eine der ersten Schulen Sozialarbeiter*innen. Sie betreuen auch das nahegelegene JUZ dadurch kennen sie viele Kinder in einem privateren Rahmen, was für das Gesamtbild hilfreich ist. Das entlastet uns als Lehrer*innen natürlich. Aber für mich als Klassenvorständin ist die Koordination neben einer vollen Lehrverpflichtung oft kaum schaffbar. Ich leite auffällige Kinder an die Sozialarbeiterin weiter, schicke sie zur Schulpsychologie, koordiniere Verdachtsfälle auf Gewalt oder Missbrauch, der Kontakt mit den Eltern läuft über mich etc. Abgegolten wird diese wichtige Arbeit mit 70 Euro im Monat zehnmal im Jahr. Es kommt daher häufig vor, dass Lehrer*innen zur KV-Tätigkeit gezwungen werden, weil sich freiwillig zu wenige melden. Krankenstände oder Burn-out sind die Folge. Ich bin jung, habe keine Kinder, aber ob ich das in zehn Jahren auch noch so machen will, da bin ich mir nicht so sicher.
Vielen Dank für das Gespräch